Von welcher Bedeutung ist Simone de Beauvoirs Werk „Das andere Geschlecht“ 60 Jahre nach seinem Erscheinen und wie aktuell sind die darin enthaltenen Beobachtungen und Forderungen? Zur Beantwortung dieser und weiterer Fragen trafen sich gestern Ingeborg Gleichauf, Autorin und Beauvoir-Biographin, Effi Böhlke, Mitarbeiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Meredith Haaf, Studentin und Bloggerin bei Mädchenmannschaft.net, zum Gespräch.
Obwohl das umfangreiche und komplexe Werk hinreichend fruchtbaren Boden für einen regen Meinungsaustausch zu bieten versprach, nahm die Diskussion recht schnell einen zähen und umständlichen Lauf. Brav beantworteten die Teilnehmerinnen der Reihe um die vagen Fragen der Moderation. Der Begriff der Freiheit, um den sich das Gerede drehte, blieb dabei undefiniert und schwammig. Auf einzelne interessante Beiträge wurde nicht näher eingegangen, sodass eine lohnende Begegnung, etwa in Form einer Konfrontation, der drei geladenen Frauen gar nicht erst stattfinden konnte.
Deutlich wurde allein, dass unsere individualisierte Gesellschaft und die Vielfalt an möglichen Freiheitsdefinitionen es heute erschweren, einen Konsens für eine neue Feminismusdebatte zu finden. Seit 1949 hat sich insofern einiges verändert, als dass wir globaler denken - Beauvoir beschäftigte sich lediglich mit der Frau der westlichen Ersten Welt - und individueller handeln - die Frauen als Kategorie erscheint uns heute einschränkend und grob verallgemeinernd. Ebenso kommen heute zum binären Geschlechterverständnis Beauvoirs eine Menge anderer möglicher Geschlechtsidentitäten und Sexualorientierungen hinzu, die in einer aktuellen Debatte berücksichtigt werden müssen.
Und so kam es, dass in der gestrigen Zusammenkunft selbst einzelne kraftvolle Aussagen sich im allgemeinen trüben Gedankenbrei verflüssigten und die Chance, neue konkrete Thesen aufzustellen, an denen sich wieder die Geister scheiden können, ungenutzt blieb. Schade.
Als Gedankenanstoß und nachträglicher Versuch, für intellektuelle Reibungen zu sorgen, seien an dieser Stelle dennoch einige der bedeutenden Aussagen aufgeführt. Effi Böhlke beklagte die anhaltende Zurückhaltung der Frau, Verhaltensmuster abzuschütteln und Freiräume aufzubrechen. Sie selbst sei emanzipiert worden, als die Beziehung zu ihrem Mann zerbrach, also aus einem passiven Erlebnis und einer gewissen Notwendigkeit heraus. Ingeborg Gleichauf wies auf ihre eigene finanzielle Abhängigkeit hin, aus der sie sich trotz beruflichem Erfolg nicht befreien könne. Beide Frauen sind Mutter dreier Kinder und stehen den Aussagen Beauvoirs über die Mutterschaft distanziert gegenüber (hier hätte ich gerne mehr erfahren). Meredith Haaf, gab an, dass sich Frauen heutzutage zwar nicht mehr geknechtet fühlten, ihre Aggressionen deswegen jedoch nicht mehr nach Außen, sondern nach Innen richteten und so zum Opfer ihrer eigenen Täterschaft würden (Wem wird damit (nicht) gedient?). Bezeichnend war, dass trotz dieser – so fasse ich sie auf - resignierten Appelle, immer wieder auf die positive Entwicklung der Gesellschaft gepocht wurde, dass schon so viel erreicht worden ist und sich ja schon irgendwie frei fühle. Ist eine Bewegung zum Stillstand gekommen?
Glücklicher Weise meldete sich rechtzeitig Gitti Hentschel aus dem Publikum zu Wort. Ob denn, anstatt abzuwarten, dass der Staat (der Mann?) sich zu Gunsten der Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzt, nicht die Frauen zuerst daran arbeiten sollten, die Fesseln ihrer eigenen Sozialisation abzuschütteln? Das setzt immerhin ein Bewusstsein über die aktuelle Lage (von einem selbst) voraus. Die tagtägliche und Stückchenweise Eroberung von selbst bestimmten Handlungsräumen ist unsere Aufgabe und die dürfen wir uns nicht abnehmen lassen. Sie beginnt im Privaten und führt ohne Umwege in die Öffentlichkeit.
Mittwoch, 8. Juli 2009
"Ich bin frei"... Aber wovon?
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