Judith Butler am 18.6. in der Volksbühne - eine feministisch- queere Lecture, die mich begeistert hat. Ein Eintreten für grundlegende Freiheitsrechte aller (diskriminierten Gruppen), um die Formulierung eines gesellschaftlichen Entwurfs frei von Rassismus und jeglicher Art von Diskriminierung, um Eintreten gegen Militarisierung und Krieg, ein Plädoyer für Einmischen auch und gerade durch diskriminierte und minoisierte, ausgegrenzte Gruppen egal ob Lesben. Schwule, Queere oder sonst wie (Un)definierte. Ihr Verständnis von Freiheit erinnerte mich an Rosa Luxemburgs "Freiheit der Andersdenkenden" und ist gleichzeitig darüber hinaus weisend, da sie auch den Respekt vor dem Anders sein und Anders handeln postulierte. Ihr politischer Ansatz: mit ihrer destruktivistischen Position eine Fortführung des politischen Feminismus der 90er Jahre, der ja auch eine gesamte gesellschaftspolitische Vision implizierte, bei dem es nicht nur um das Eintreten für Frauenrechte ging, sondern um das Engagement gegen jede Form hegemonialer Gewalt und Herrschaft. Besonders bemerkenswert und politisch weiterführend: Butlers Verbindung von queerer Politik mit Eintreten gegen Militarismus und Krieg und ihre deutliche Ablehnung lobbyistischer Identitätspolitiken.
Es ist bezeichnend und ärgerlich, dass es in der medialen Berichterstattung kaum um diese inhaltliche Position Butlers ging, sondern in erster Linie um ihre Ablehnung des Zivilcourage-Preises auf dem CSD und den darum entstandenen Eklat.
Ein politisches Armutszeugnis auch, dass die CSD-Szene selbst sich in der Debatte so wenig mit Butlers inhaltlichen Positionen und ihrer Kritik an einer auf die eigene Identität ausgerichteten Politik auseinander setzt. Das halte ich für die weiter reichenden und gesellschaftlich weiterführenden Frage: Wie kommen wir aus dem Dilemma heraus, dass es einerseits notwendig ist, Diskriminierungen minoisierter Gruppen zu problematisieren und für ihren Schutz und die gesellschaftliche Akzeptanz einzutreten, und andererseits jegliche Polarisierung und identitäre Abgrenzungen zu verhindern? Wie schaffen wir es, auf die eigenen Interessen ausgerichtete identitäre Lobbypolitik abzubauen? Wo finden wir welche Bündnispartner_innen für eine gemeinsame und wirkungsmächtige Politik, die das Engagement für grundlegende Freiheitsrechte, gegen Krieg und Militarismus, mit dem gegen Rassismus und andere Diskriminierungsformen verbindet?
Nachtrag - 3sat-Kulturzeit ĂĽber Judith Butler und den Eklat beim Berliner CSD
Was mich bei der euphorischen Zustimmung zu 'Queeren Bündnissen und Antikriegspolitik' jedoch stört, ist das Streben von Judith Butler nach fast schon universalistischen und abstrakten Lösungsansätzen/Strategien, ohne den Bezug auf etwas Konkretes. Für mich tritt sie damit in die Fußstapfen/Falle der großen TheoretikEr der Moderne.
Besser gefällt mir der Ansatz von Antje Schrupp anhand von konkreten Fällen (zb queere Bündnisse für eine Antikriegspolitik für den Israel-Palestina-Konflikt, da wird’s interessant). Speziell die 8. von ihren Fünfzehn Thesen für einen Feminismus und Post-Gender (http://antjeschrupp.com/2010/05/25/funfzehn-thesen-zu-feminismus-und-post-gender/) wäre für Judith Butler lesenswert.
Siehe dazu auch meinen kurzen textuellen Beitrag unter http://www.fiktionen.net/2010/06/die-ara-der-theorie-dinosaurier-und-dinosaurierinnen-dauert-an/
auch millionen butlers, die der längsten und erfolgreichen akademischen ab/schreib/bewegung angehören, können irren.
judith butler war nicht couragiert als sie das werden der geschlechter queer hinterfragen wollte.
nichts anderes ist seit simone de beauvoirs klasssichem zitat:
eine frau wird nicht als frau geboren, sie wird dazu gemacht
ein feministischer allgemeinplatz.
daĂź es judith butler gelang
in ihrem“ unbehagen der geschlechter“ das lesbisch-sein, queer zu verstecken und dabei akademisch karriere zu machen, ist ihrer klugheit geschuldet, aus der uneindeutigkeit, theoretisch und praktisch auch für die adeptinnen, mehr freiraum zu gewinnen.
der gewinn lag in der zurĂĽckweisung von politik, die im vergleich zur vieldeutigkeit, eindeutigkeiten verlangt.
und die sind manchmal peinlich und erfordern mut, wie z.b. sich als lesbisch oder schwul zu outen.
so wie es einst martin dannecker tat:
"nicht der homosexuelle ist pervers, sondern die situation, in der er lebt."
sicherlich gibt und gab es auch immer bi-sexuelle, aber doch immer weniger als die vielen, die sich dahinter versteckten.
mit der verqueerung von judith butler, die für diejenigen in der coming-out phase eine nicht zu unterschätzende hilfe bot, uneindeutig zu bleiben, entstand eine nun 20jährige queer -ära, die sich darauf beschränkt, immer das konkrete nicht zu meinen. so emanzipiert man sich davon, politik zu machen, politik zu machen, verlangt nicht nur deklarationen, sondern auch zugeständnisse, identifikationen mit den peinlichen.
ist man nun fĂĽr die gleichen rechte oder mehr fĂĽr eine queere distanz von lesben, schwulen, bisexuellen und transgendern?
traut man sich die unfreiheiten anderer in anderen ländern, wie im eigenen land wahrzunehmen und zu kritisieren?
das heiĂźt noch immer sich zu outen.
alles im queeren zu lassen. kann theoretisch wunderbar sein, was es auch ist.
courage bedeutet aber immer konkret zu sein.
ps. daß judith butler nun den preis öffentlich nicht angenommen hat und das mit der zu kommerziellen und oberflächlichen ausrichtung begründet, wird der einfachheit halber medial als links gehandelt.
links gegen parties zu sein ist aber doch so recht kein ersatz fĂĽr politik, die aber siehe oben...