Natürlich gab es im Rahmen des heutigen Tages hier und da Anmerkungen: Leiden Jungen und Männer unter sexueller Gewalt? Leiden sie "genauso" wie Mädchen und Frauen? Werden sie in anderen Ländern, und vielleicht auch in Deutschland dadurch "unmarriageable"? Und vor allem und oft wiederholt: Nimmt die Beschäftigung mit "Männerproblemen" nun den Frauenorganisationen in langwierigen Verteilungskämpfen die ohnehin meist knappen Ressourcen? Macht sie sexuelle und sexualisierte Gewalt gegen Mädchen und Frauen wieder zur marginalisierten Problematik? Fragen, die der/die Eine oder Andere sicher im Workshop erwartet.
Sandesh Sivakumaran, Experte in der UN-Koordination von Humanitarian Affairs ist bereits 2007 mit dem (nicht ins Deutsche übersetzten) Essay Sexual violence against men in armed conflict im European Journal of International Law in Erscheinung getreten. Sexuelle Gewalt an Jungen und Männern, so setzt er umgehend an, fände sehr viel häufiger statt, als man weithin meine, sei weit verbreitet und systematisiert. Zum einen können, wie primär dargestellt, Männer, aber auch Frauen, als Gewalttäter an Jungen/Männern in Erscheinung treten. Auch werden Häftlinge genötigt, in Flüchtlingslagern, Krisenregionen und auch staatlichen Institutionen, wie Gefängnissen, sexualisierte Gewalt an Mithäftlingen zu vollziehen.
Sexuelle Gewalt an Jungen und Männern ist zudem eng mit Konzepten von Männlichkeit verknüpft. Immer schwingt in der Viktimisierung Angst, Schuld und Stigmatisierung mit, wird die Verdopplung der Tat geschaffen: Die - in Männlichkeitssozialisationen negierte - Vulnerabilität des eigenen Körpers geht zudem mit der - selbst- oder fremdzugeschriebenen - Effeminisierung nach der Tat einher.
Zum Anlass der Verabschiedung der UN-Resolution 1325, stellt sich die Frage, was in Bezug auf Gewalt an Jungen und Männern getan wurde? Sivakumaran konstatiert für diese Problematik einen Rückschritt: Wurde in UN-Reports der 80er und 90er Jahren sexuelle Gewalt an Jungen und Männern, wenn auch unter anderen Begriffen wie Folter oder Gewalt dokumentiert und subsumiert, findet dies heute nicht mehr statt. Ein mangelhaftes Bewusstsein dieser Thematik diagnostiziert Sivakumaran in den UN-Dokumenten der letzten Dekade, exemplarisch an der im Jahr 2008 verabschiedeten Resolution 1820, die, Gewalt an Zivilpersonen ächtend, eine sensible Sprache und den Bezug zu Jungen und Männern als potentielle Opfer vermissen läßt.
Es ist anzumerken, dass in der Resolution meist Opfer sexueller Gewalt, insbesondere Frauen und Mädchen, benannt werden. Es wird demnach kein konkretes Ausschlussprinzip verfolgt, wohl aber kann eine spezifische Fokussierung auf einen - sicher quantitativ größeren, aber darum nicht notwendig exklusiv zu benennenden - Teil des Problems abgelesen werden.
Im sich anschließenden Workshop werden weitere Fragen aufgeworfen: Was ist das Spezifische an sexueller Gewalt an Jungen und Männern? Welche Rollen und welche Strategien können NGOs einnehmen? Was ist auf internationaler Ebene zur Prävention dieser (und weiterer) Form von Gewalt zu tun? Das Fazit zeigt: Es werden keine (vorschnellen) Antworten, doch aber ein Fortschritt in Bezug auf die Sensibilisierung in Fragen von Mißbrauch von Jungen und Männern getan. Und die Frage, warum die Resolution lediglich Gewalt an Zivilpersonen benennt.