Dienstag, 7. Juli 2009
Die verpassten Chancen von 1989
Neue Gesichter, viele Ideen und interessante Diskussionen. Dazwischen Berlins lange Straßen, die die Kölner Beine nicht gewohnt sind. Der erste Tag des Gender-Kongress war spannend und anstrengend zugleich, doch als Historikerin musste ich die letzte Runde doch noch mitnehmen: Um 19.30 Uhr startete das „Frauenpolitische Gespräch“, das den etwas umständlichen Untertitel trägt: „1989-2009. Ungleichzeitig in die Einheit – Erfahrungen“. Die Müdigkeit verflog relativ rasch, denn auf dem Podium saßen vier energetische, interessante Frauen – Wissenschaftlerinnen und Politikerinnen – die ihre persönlichen Erfahrungen mit der sogenannten „Wende“ beschrieben. Zwei von ihnen – Hildegard Nickel und Petra Bläss-Rafajlovski - waren im 09. November 1989 in Ostberlin gewesen, die anderen beiden – Christina Thürmer-Rohr und Carola von Braun – in Westberlin. Zum Glück verharrte das Gespräch nicht bei einem reflektierenden Erzählen nach dem Muster „Wo waren Sie, als die Mauerfall fiel?“ sondern entwickelte sich zur Diskussion über die Auswirkungen, die das Ende der DDR und die Wiedervereinigung auf die Frauenbewegung(en) in West- und Ostdeutschland gehabt hatten.
„Ungleichzeitig in die Einheit“ – rasch wurde klar, was der Titel meint. Die Erfahrungen und Bewertungen von „Wessis“ und „Ossis“ scheinen sich fast konträr gegenüberzustehen. Beide ehemaligen Ostberliner Wissenschaftlerinnen machten deutlich, dass die Friedliche Revolution nicht nur grundlegende Umwälzung für die staatliche Politik darstellte, sondern den feministischen Frauen in der DDR auch einen Neuanfang für die Frauenbewegung verheißen habe. Die Westberliner Kolleginnen hingegen sprachen vom feministischen Ende mit der „Wende“.
Wie diese gegensätzlichen Bilder zustandekommen? In der DDR habe die Geschlechterungerechtigkeit in den 80er Jahren stark zugenommen – erklärte Hildegard Nickel. Außer im Bereich der Literatur sei das Thema Feminismus Ende der 80er Jahre im Osten„eigentlich tot“ gewesen. Bewegungen hätten lediglich unter dem Schutzmantel der Evangelischen Kirche existiert – ergänzte Petra Bläss-Rafajlovski später. Beide waren sich einig: Mit dem politischen Umbruch hätten die Bewegungen sich viel von den neu gewonnen Freiheiten und den Erfahrungen der westdeutschen Kolleginnen versprochen. Diese scheinen jedoch eine herbe Enttäuschung gewesen zu sein. Hildegard Nickel habe sich sehr über die Feministinnen der BRD gewundert – denn diese seien erstarrt gewesen. Den Transformationsprozess hätten sie nicht als feministischen Prozess wahrgenommen. Verpasste Chancen? Die Kritik kam bei den beiden Kolleginnen Christina Thürmer-Rohr und Carola von Braun an. Sie teilten die Sichtweise der ehemaligen ostdeutschen Kollegin. Auch wenn Christina Thürmer-Rohr betonte, dass sie versucht habe, ihre Lehre im Studienschwerpunkts Frauenforschung an der Pädagogischen Hochschule Berlins auf die veränderte politischen Themen und die neuen Studentinnen aus der ehemaligen DDR einzustellen – kollektiv gesehen habe jedoch Schweigen geherrscht bei der Frage der Nation. Erklärungsmodelle jedoch blieben aus – die Diskussion wirkte eher wie die Suche nach einer Antwort: Vielleicht habe sie die „Frage der Nation überfordert„ – vielleicht hätten Frauen mehr mit Themen in „ihrem Nahbereich“ anfangen können, als mit solch gewaltigen Themen, vermutet Christina Thürmer-Rohr. Carola von Braun wies darauf hin, dass die Frauenbewegung keine mediale Öffentlichkeit mehr gehabt hätte, alles habe sich nur noch um die Wende gedreht. Zudem habe man es nicht geschafft, die neuen politischen Strukturen zu durchdringen und wichtige Posten zu besetzen. Die Diskussion machte deutlich, dass noch viel historische Aufarbeitung nötig sein wird, um zu erklären, warum für ost- und westdeutsche Frauenanliegen mit der Friedlichen Revolution keine gemeinsame Plattform gefunden werden konnte. Denn eines ist sicher, der Prozess der politischen Wiedervereinigung wurde nicht einfach von den männlichen Akteuren „an sich gerissen“ – sondern von Frauen-Seite auch zumindest ein Stück weit aus den Händen gegeben. Die Meldung einer Zuhörererin zeigte zudem, dass die Forschung in Zukunft zusätzlich ein Perspektivenwechsel vollziehen und auch Frauen mit Migrationshintergrund in kommende Untersuchungen einschließen muss. Denn wie auch in anderen feministischen Forschungsbereichen sind diese Frauen mal wieder vergessen worden.
Und so endete der erste Tag des Gender-Happenings – mit einer weiteren, interessanten Idee.
Geschrieben von Sabrina
in Gender Happening, Panel
um
15:11
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Tags für diesen Artikel: feminismus, frauen, frauenbewegung, friedliche revolution, Gender Happening, geschichte, gleichberechtigung, Panel, wende
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