von Franca M'hamdi
Der dritte und letzte Teil der Tagung „Schneewittchen rechnet ab“ hatte den Themenschwerpunkt „Vernetzen / Verarbeiten / Alternativen entstehen lassen“. Die Form des Open Space wurde gewählt, um im Anschluss an die Ausführungen der Expert_innen Raum für die Ideen und Kompetenzen der Teilnehmenden zu schaffen. Auch eventuelles Unbehagen sollte hier einen Platz finden. An diesem Punkt konnten eigene Themenvorschläge gemacht werden, um dann mit der Hilfe anderer Interessierter die Umsetzung der eigenen Projektideen zu planen.
Die Moderatorin stellte Open Space als eine Methode vor, die auf dem Konsensprinzip beruht. Durch die Struktur eines Hierarchie-freien Raums sollen die Mechanismen des patriarchalen Kapitalismus ausgehebelt werden, die Art der Teilnahme war den Einzelnen freigestellt. Sie konnten sich aussuchen, ob sie nach dem „Schmetterlingsprinzip“ nur kurz bei einem Projekt reinschauen, weiterziehen und dann nochmal wiederkommen oder nach dem „Hummelprinzip“ mit dem Inhalt des einen zum nächsten gehen wollten, um so eine inhaltliche Verbindung zwischen den Projekten zu schaffen. Als Strukturierungshilfe wurde festgelegt, dass auf einen Input eine kurze Vorstellung, das Notieren der Projektidee und die Verwaltung der jeweiligen Projektplanung folgen sollten. Im Anschluss an den Open Space fand ein Rundgang statt, an dem die ausgearbeiteten Projektideen den anderen vorgestellt wurden.
Es formierten sich sechs Themenschwerpunkte:
1) Feministischer Blick auf das Bedingungslose Grundeinkommen
2) Anders leben, arbeiten und konsumieren - was ist der Maßstab für gute Arbeit?
3) Umverteilung auf Mikroebene am Beispiel lesbischer Umverteilungskonten
4) Krise und Proteste. Die Eurokrise am Beispiel Griechenland, Spaniens und Portugal
5) Planung eines Frauendorfs
6) Tagungskonzeption: (De)koloniales Setting und feministisches Selbstverständnis
Ich habe die Gruppe mit dem Themenschwerpunkt (De)koloniales Setting und feministisches Selbstverständnis begleitet und die erarbeiteten Lösungsansätze dokumentiert. In einer sehr gemischten Gruppe wurde herausgearbeitet, was die Problematik dabei ist, wenn ein weißes Wirtschaftssystem anhand eines weiteren weißen Systems wie dem weißen Feminismus kritisiert wird, ohne dass beide im Hinblick auf ihre Positioniertheit reflektiert werden. So seien verschiedene globale Arbeitsformen zum ersten Mal auf der Podiumsdiskussion angesprochen worden, was als nicht ausreichend empfunden wurde. Nicht überall wird zwischen Erwerbs- und Reproduktionsarbeit unterscheiden, sondern es gibt andere Wirtschaftsformen wie zum Beispiel die Subsistenzwirtschaft. Wenn schon global gedacht werden soll, dann müsse dies unter anderen Voraussetzungen geschehen. In so fern sei zu prüfen, wer für wen mit welchem Anspruch Lösungen produziert.
Des Weiteren fiel auf, dass Ansätze von Schwarzen Theoretikerinnen und Theoretikerinnen of Color oder feministische Literatur von Schwarzen Frauen und Frauen of Color nicht ins Tagungskonzept einbezogen oder vorgestellt wurden. Die Auslassung dieser Theorien mitsamt ihrer gegebenenfalls bereits erarbeiteten Lösungsansätze wirke sich auch als Ausschluss auf potentielle Schwarze Teilnehmende und Teilnehmende of Color aus. Wie schon an anderer Stelle wurde beobachtet, dass die Veranstaltung ein nahezu weißer Raum war. Hierzu sagte ein Mitglied von RESPECT (eine lateinamerikanisch-deutsche Frauengruppe, die sich für die Rechte von Migrantinnen in der bezahlten Sorgearbeit einsetzt), dass sie mit ihrer Gruppe zwar häufig zur Repräsentation der „Migrant_innenperspektive“ zu Tagungen eingeladen, aber nie in Hinblick auf deren Konzeption konsultiert würde. Im Anschluss daran wurde festgestellt, dass Eurozentrismus das Mittel zum Eingrenzen eines Arbeitsfeldes sein kann, wenn das auch klar markiert wird. Ansonsten wird es unmarkiert als Universalismus gesetzt, was Ausschlüsse nach sich zieht. So wird ausgeblendet, dass es in Deutschland Schwarze Menschen und Menschen of Color gibt, deren Lebenserfahrungen und Perspektiven im hiesigen Wirtschaftsystem sich von denen der weißen Mehrheitsgesellschaft unterscheiden. Im gleichen Prozess fänden diese ihre Belange auf einer Tagung wie „Schneewittchen rechnet ab“ nicht wieder, was dazu führt, dass sie nicht daran teilnehmen.
Nach der Analyse der Situation wurden konkrete Lösungsvorschläge für ein zukünftiges Vorgehen gemacht. Als Grund für die Ausschlussproduktion der Tagung wurde mangelnder Dialog und mangelnde Vernetzung benannt. Im Hinblick auf die große Zahl von divers organisierten Frauengruppen, die es in Berlin gibt, äußerte sich eine Teilnehmerin erstaunt darüber, dass das nicht funktioniere und fragte: „Wenn nicht hier, wo dann?“ Für eine zukünftige Planungskonzeption müsse eine aktive Vernetzung mit Schwarzen Frauengruppen und Frauengruppen of Color wie GLADT, LesMigraS, ADEFRA und Netzwerken wie „Diskriminierungsfreie Szenen für alle!“ angestrebt werden. Als weiterer Punkt wurde die Kommunikationspraxis der Veranstaltenden angedacht. Diese müsse inklusiver gestaltet werden, um nicht von vornherein Ausschlüsse nach außen zu kommunizieren.
Ich als Beobachtende fand es bemerkenswert, dass die systemimmanente Kritik am Setting der Tagung im Rahmen selbiger als Manko erkannt und durch den Input der Teilnehmenden mögliche Lösungswege aufgezeigt werden konnten. Es bleibt zu hoffen, dass eine zukünftig Tagung zur feministischen Ökonomie inklusiver konzeptioniert wird. Nur so können alternative Lebensmodelle abseits der Mainstream-Ökonomie für alle gesellschaftlichen Gruppen aufzeigt und erarbeitet werden.
Sonntag, 11. November 2012
Im Open Space: (De)koloniales Setting und feministisches Selbstverständnis
Geschrieben von Franca M'hamdi
in Feminismus
um
21:19
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Tags für diesen Artikel: ausschlussproduktion, feminismus, open space, schneewittchen rechnet ab, standpunktreflektion, tagungskonzeption, wirtschaftssystem
Wie sieht "das gute Leben" aus?
von Magda Albrecht
Seit Wochen freue ich mich auf den Workshop zur Vier-in-Einem Perspektive der linken Soziologin und Philosophin Frigga Haug, die ihre Ideen, wie ein ‚gutes Leben’ aussehen könnten, konsequent mit Geschlechtergerechtigkeit zusammendenkt. Gestärkt vom Mittag und dem nächsten Kaffee begebe ich mich in den kleinen Seminarraum, in dem am Vormittag auch der Workshop von Deborah Ruggieri zu „Zukunftsmusik. Warum Ökonomie die Genderperspektive braucht“ stattfand. Da Haug leider krank geworden war, übernahm Anna Conrads, Politikwissenschaftlerin und Politikerin der LINKE, die Leitung des Workshops. Ich war sehr dankbar über die ruhige und sehr angenehme Vortragsart von Conrads, denn zu diesem Zeitpunkt war sausten in meinem Kopf schon tausend Ideen und Fragen, obwohl erst knapp die Hälfte der Tagung um war.
Leben für die (Lohn-)Arbeit...?
Conrads begann ihre Ausführungen mit einer zentralen Frage: Welchen Standpunkt nehmen wir bei unsere Vorstellung eines guten Lebens ein? Zur Zeit sei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (einhergehend mit der stetigen Perfektionierung des eigenen Zeitmanagements) und der Wunsch nach Vollbeschäftigung diskursbestimmend. Überall wird geklagt, dass es nicht genügend Arbeitsplätze für alle gäbe, dabei sei dies doch ein Zeichen für wirtschaftlichen Reichtum, so Conrads. Wenn die Produktivität dank des technischen Fortschritts hoch ist, könnten Menschen ja rein theoretisch auch weniger (erwerbs-)arbeiten. Dennoch wird dieser Umstand nicht als: ‘Yeah, mehr Freizeit!’ gedeutet, sondern als ‘Mangel an Arbeit’ definiert. Diese Perspektive bleibt allerdings innerhalb der jetzigen profit- und wettbewerbsorientierten Strukturen, die Erwerbsarbeit zum Zentrum allen Interesses macht.
Weniger (Lohn-)Arbeit für das Leben: Die Vier-in-Einem Perspektive
Die Vier-in-Einem Perspektive will aus diesen Logiken ausbrechen und einen neuen Arbeitsbegriff etablieren. Haugs Perspektive nimmt im wahrsten Sinne des Wortes das Leben als Grundlage. Die 16 Stunden, die wir nicht schlafend verbringen, werden möglichst gleichberechtigt in vier Teilbereiche aufgeteilt:
- Erwerbsarbeit
- Arbeit von Menschen an Menschen, Tieren oder Natur
- Politarbeit
- Betätigung aller Sinne (Kunst, Musik, Muße, Sprachen...)
Die einfach Faustregel lautet: Alle sollen alles tun (können). Durch die radikale Arbeitszeitverkürzung auf vier Stunden am Tag bekämen Menschen die Möglichkeit eine Vielzahl an Tätigkeiten auszuführen ohne völlig vereinnahmt von einem 40-Stunden Job zu sein. Endlich wäre die Zeit da für’s Musikmachen, Rugby spielen, den Keller ausmisten, in der Suppenküche aushelfen oder Gedichte schreiben.
Aber... aber!? Bestimmen dann nicht auch wieder andere über meine Zeit? Ist es überhaupt möglich, dass jeder der Teilbereiche in jeder Phase des Lebens die gleiche Rolle spielt? Was ist, wenn ich finde, dass meine Mama viel besser bügeln, nähen oder abwaschen kann – muss ich das dann trotzdem tun? Oder wenn ich mehr als vier Stunden der Politarbeit widmen möchte? Eine wichtige Frage, die ich mir persönlich im Laufe des Workshops auch gestellt habe: Wie wird in der Haug’schen Perspektive eigentlich Familie konzeptualisiert? Wird die Idee der heteronormativen Kleinfamilie und dessen privilegierte rechtliche und gesellschaftliche Stellung aufgebrochen?
Das ist wahrscheinlich nur ein Bruchteil der Fragen, die einigen von uns im Kopf rumschwirren. Darauf gibt es die unterschiedlichsten Antworten und eine Diskussion über Ungereimtheiten können möglich Leerstellen der Vier-in-Einem Perspektive aufdecken. Conrads erinnert daran, dass alle diese Bereiche nur in ihrer Gesamtheit diskutiert werden können, denn sie gehören zusammen und funktionieren nur zusammen. Wer jene Teilbereiche einzeln diskutiert (wie dies heute oft der Fall ist), wird nicht aus den Logiken der gängigen Argumente ausbrechen können.
Geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen aufbrechen
Ein großer Vorteil des Haug’schen Konzepts ist das Aufbrechen von geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung. Da alle Menschen angehalten sind, unterschiedliche Arbeiten in den verschiedenen Bereichen auszuführen und diese möglichst gerecht untereinander aufzuteilen, werden automatische Verknüpfungen von ‚abwaschen’ und ‚Mama’ entzerrt. Es geht meinem Verständnis nach allerdings nicht darum, dass alle alles (gut) können müssen, sondern dass jede_r die Chance hat sich in den einzelnen Bereichen auszuprobieren, zu entfalten und wichtige gesellschaftliche Arbeit für sich oder andere zu leisten. Ein super Effekt: Bestimmte Tätigkeiten werden so nicht mehr an ein bestimmtes Geschlecht oder einen sozialen Stand geknüpft, sondern zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe.
Die meisten der Workshop-Teilnehmenden schienen am Ende große Lust zu haben mehr über alternative Konzepte des Lebens und Arbeitens zu lernen. Eine Teilnehmerin murmelte am Ende halb schmunzelnd, halb im Ernst: „Und wann geht es endlich los mit der Vier-in-Einem Perspektive? Ich kann’s kaum erwarten!“
Seit Wochen freue ich mich auf den Workshop zur Vier-in-Einem Perspektive der linken Soziologin und Philosophin Frigga Haug, die ihre Ideen, wie ein ‚gutes Leben’ aussehen könnten, konsequent mit Geschlechtergerechtigkeit zusammendenkt. Gestärkt vom Mittag und dem nächsten Kaffee begebe ich mich in den kleinen Seminarraum, in dem am Vormittag auch der Workshop von Deborah Ruggieri zu „Zukunftsmusik. Warum Ökonomie die Genderperspektive braucht“ stattfand. Da Haug leider krank geworden war, übernahm Anna Conrads, Politikwissenschaftlerin und Politikerin der LINKE, die Leitung des Workshops. Ich war sehr dankbar über die ruhige und sehr angenehme Vortragsart von Conrads, denn zu diesem Zeitpunkt war sausten in meinem Kopf schon tausend Ideen und Fragen, obwohl erst knapp die Hälfte der Tagung um war.
Leben für die (Lohn-)Arbeit...?
Conrads begann ihre Ausführungen mit einer zentralen Frage: Welchen Standpunkt nehmen wir bei unsere Vorstellung eines guten Lebens ein? Zur Zeit sei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (einhergehend mit der stetigen Perfektionierung des eigenen Zeitmanagements) und der Wunsch nach Vollbeschäftigung diskursbestimmend. Überall wird geklagt, dass es nicht genügend Arbeitsplätze für alle gäbe, dabei sei dies doch ein Zeichen für wirtschaftlichen Reichtum, so Conrads. Wenn die Produktivität dank des technischen Fortschritts hoch ist, könnten Menschen ja rein theoretisch auch weniger (erwerbs-)arbeiten. Dennoch wird dieser Umstand nicht als: ‘Yeah, mehr Freizeit!’ gedeutet, sondern als ‘Mangel an Arbeit’ definiert. Diese Perspektive bleibt allerdings innerhalb der jetzigen profit- und wettbewerbsorientierten Strukturen, die Erwerbsarbeit zum Zentrum allen Interesses macht.
Weniger (Lohn-)Arbeit für das Leben: Die Vier-in-Einem Perspektive
Die Vier-in-Einem Perspektive will aus diesen Logiken ausbrechen und einen neuen Arbeitsbegriff etablieren. Haugs Perspektive nimmt im wahrsten Sinne des Wortes das Leben als Grundlage. Die 16 Stunden, die wir nicht schlafend verbringen, werden möglichst gleichberechtigt in vier Teilbereiche aufgeteilt:
Die einfach Faustregel lautet: Alle sollen alles tun (können). Durch die radikale Arbeitszeitverkürzung auf vier Stunden am Tag bekämen Menschen die Möglichkeit eine Vielzahl an Tätigkeiten auszuführen ohne völlig vereinnahmt von einem 40-Stunden Job zu sein. Endlich wäre die Zeit da für’s Musikmachen, Rugby spielen, den Keller ausmisten, in der Suppenküche aushelfen oder Gedichte schreiben.
Aber... aber!? Bestimmen dann nicht auch wieder andere über meine Zeit? Ist es überhaupt möglich, dass jeder der Teilbereiche in jeder Phase des Lebens die gleiche Rolle spielt? Was ist, wenn ich finde, dass meine Mama viel besser bügeln, nähen oder abwaschen kann – muss ich das dann trotzdem tun? Oder wenn ich mehr als vier Stunden der Politarbeit widmen möchte? Eine wichtige Frage, die ich mir persönlich im Laufe des Workshops auch gestellt habe: Wie wird in der Haug’schen Perspektive eigentlich Familie konzeptualisiert? Wird die Idee der heteronormativen Kleinfamilie und dessen privilegierte rechtliche und gesellschaftliche Stellung aufgebrochen?
Das ist wahrscheinlich nur ein Bruchteil der Fragen, die einigen von uns im Kopf rumschwirren. Darauf gibt es die unterschiedlichsten Antworten und eine Diskussion über Ungereimtheiten können möglich Leerstellen der Vier-in-Einem Perspektive aufdecken. Conrads erinnert daran, dass alle diese Bereiche nur in ihrer Gesamtheit diskutiert werden können, denn sie gehören zusammen und funktionieren nur zusammen. Wer jene Teilbereiche einzeln diskutiert (wie dies heute oft der Fall ist), wird nicht aus den Logiken der gängigen Argumente ausbrechen können.
Geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen aufbrechen
Ein großer Vorteil des Haug’schen Konzepts ist das Aufbrechen von geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung. Da alle Menschen angehalten sind, unterschiedliche Arbeiten in den verschiedenen Bereichen auszuführen und diese möglichst gerecht untereinander aufzuteilen, werden automatische Verknüpfungen von ‚abwaschen’ und ‚Mama’ entzerrt. Es geht meinem Verständnis nach allerdings nicht darum, dass alle alles (gut) können müssen, sondern dass jede_r die Chance hat sich in den einzelnen Bereichen auszuprobieren, zu entfalten und wichtige gesellschaftliche Arbeit für sich oder andere zu leisten. Ein super Effekt: Bestimmte Tätigkeiten werden so nicht mehr an ein bestimmtes Geschlecht oder einen sozialen Stand geknüpft, sondern zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe.
Die meisten der Workshop-Teilnehmenden schienen am Ende große Lust zu haben mehr über alternative Konzepte des Lebens und Arbeitens zu lernen. Eine Teilnehmerin murmelte am Ende halb schmunzelnd, halb im Ernst: „Und wann geht es endlich los mit der Vier-in-Einem Perspektive? Ich kann’s kaum erwarten!“
Geschrieben von Magda Albrecht
in Feminismus
um
21:09
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Tags für diesen Artikel: arbeit, Feminismus, feministische ökonomie, frigga haug, vier-in-einem perspektive
Gemeinsam leben, gemeinsam umverteilen
von Nadine Lantzsch
"Feministische Ökonomie für anderes Leben, Arbeiten und Produzieren" hieß das Motto der Tagung "Schneewittchen rechnet ab". Beim abendlichen Open Space bekam dieses Motto den vielleicht größten Raum: Die Teilnehmenden konnten Themen und Perspektiven vorschlagen, über die sie sich mit anderen Teilnehmenden gerne austauschen wollten. Auf Expert_innenwissen kam es dabei nicht an. Jede Idee war es wert, dem Publikum vorgeschlagen zu werden. Neben postkolonialen Perspektiven auf Feministische Ökonomiekritik, unterschiedlichen Standpunkten zum Bedingungslosen Grundeinkommen sollten auch Frauendörfer und Umverteilung im eigenen Alltag Thema sein.
In kleinen Gruppen verteilten sich die vorgeschlagenen Themen über die gesamte Etage und jeder_m stand es frei, sich für wenige Minuten dazuzusetzen, sich mit eigenen Wortbeiträge einzubringen oder schlicht nur zuzuhören. Jede Person konnte über Art und Dauer ihrer Partizipation beim Open Space selbst entscheiden.
Utopien leben: Frauendörfer
Eine Teilnehmerin wollte mit anderen über die Möglichkeit und Umsetzbarkeit eines Frauendorfes nachdenken. Durch Landflucht vor allem - aber nicht nur - in den ostdeutschen Bundesländern sind viele Dörfer kaum mehr bewohnt. Die leerstehenden Häuser eignen sich daher wunderbar für die Verwirklichung eigener Utopien eines schöneren Lebens in der Gemeinschaft. Zusammen wurde frei von Zwängen überlegt, was sich jede vorstellen kann. Folgende Fragen waren den Teilnehmerinnen wichtig: Was verspricht sich jede von dieser Art des Zusammenlebens? Welche materiellen und immateriellen Güter kann sie ein- bzw. mitbringen? Welche Tätigkeiten sind Aufgabe der Gemeinschaft, was hat jede selbst zu leisten?
Den Teilnehmerinnen war es ein Anliegen, dass sich eine neue Gemeinschaft, die in ein halb verlassenes Dorf ziehen möchte, die bereits vorhandenen Strukturen würdigt und versucht, sich in diese zu Integrieren. Integrationsarbeit könnte die neu hinzugezogene Gemeinschaft zum Beispiel dadurch leisten, indem sie Sorgearbeit für Ältere übernimmt oder Waren vor Ort kauft, um die lokale Wirtschaft zu unterstützen. Auch die Eröffnung eines eigenen Ladens wurde in Betracht gezogen. Weiterhin könnte die neue Gemeinschaft das Dorf- bzw. kommunale Leben bereichern, indem sie sich lokalpolitisch betätigt und neue Impulse für die gesamte Dorfgemeinschaft oder die Kommune setzt. Auch Ökologische Aspekte waren den Teilnehmerinnen ein Anliegen: so gering wie möglich sollte die Natur durch den Zuzug neuer Bewohnerinnen in Anspruch genommen werden. Über alternative Bauweisen wurde nachgedacht, nicht jede ließe sich allerdings mit deutschem Baurecht vereinbaren.
Das Frauendorf soll nach Möglichkeit kein zeitlich begrenztes Projekt bleiben, sondern an nachfolgende Generationen weitergegeben werden oder durch Fluktuation von Bewohnerinnen aufrecht erhalten werden. Dabei ging es auch um die Frage persönlicher Konflikte: Wie kann eine Kultur geschaffen werden, in der sich jede jederzeit willkommen und wertgeschätzt fühlt, wie können Widersprüche ausgehalten werden, die sich nicht lösen lassen, ohne dass das Projekt „Frauendorf“ gefährdet ist? Eine Teilnehmerin brachte es auf den Punkt: eine solle sich nicht abschrecken lassen von Utopien. Jedes noch so ferne Ziel sei mit Willenskraft in einer bestimmten Form erreichbar. Über Utopien nachzudenken, heiße nicht, lediglich Gedankenspielerei zu betreiben, sondern ein besseres Leben für möglich zu halten und danach zu streben.
Utopien finanzieren: Gemeinschaftskonten
In der Gruppe, die über Umverteilungsmöglichkeiten im eigenen Alltag nachdachte, ging es ähnlich kreativ zu. Einen Einstieg ins Thema bildete das Gemeinschaftskonto der Prolo-Lesben Anfang der 1990er Jahre. Jede konnte dort anonym einzahlen und abheben, ohne rechtfertigen zu müssen, wofür sie das Geld brauchte. Einzige Bedingung war, dass ein bestimmter Grundstock auf dem Konto verbleiben musste, frau konnte ja nie wissen. Jede zahlte eigenverantwortlich und nach ihren finanziellen Möglichkeiten auf das Konto ein. So funktionierte das Gemeinschaftskonto mindestens zwei Jahre bis es aufgelöst wurde, weil sie sich die Gruppe auflöste.
Ähnliche Ideen gibt es heute auch noch: Gemeinschaftskontos in größeren Wohngemeinschaften, von denen Miete, Lebensmittel und materielle Dinge für den Haushalt bezahlt werden und die Höhe der Einzahlungen abhängig ist von der finanziellen Situation jeder Person. Denkbar sind auch Gemeinschaftskonten, die nicht an eine Wohngemeinschaft gebunden sein müssen und die dazu dienen sollen, autonome politische Projekte in regelmäßigen Abständen zu bespenden. Weiter wurde über die Möglichkeit nachgedacht, gemeinsame Erbschaftskonten einzurichten, um an Umverteilungsprozessen im Kleinen mitzuwirken.
Auch die Idee des Frauendorfes ließe sich mit einem Finanzierungsplan realisieren, der die unterschiedlichen ökonomischen Situationen und Positioniertheiten von Frauen mitdenkt: Unabhängig der finanziellen Situation jeder Frau kann diese Teil des Projektes werden. Die gerechte Ausbalancierung von Ressourcen und Bedürfnissen stehen im Vordergrund. Feministische Ökonomie für ein besseres Leben!
"Feministische Ökonomie für anderes Leben, Arbeiten und Produzieren" hieß das Motto der Tagung "Schneewittchen rechnet ab". Beim abendlichen Open Space bekam dieses Motto den vielleicht größten Raum: Die Teilnehmenden konnten Themen und Perspektiven vorschlagen, über die sie sich mit anderen Teilnehmenden gerne austauschen wollten. Auf Expert_innenwissen kam es dabei nicht an. Jede Idee war es wert, dem Publikum vorgeschlagen zu werden. Neben postkolonialen Perspektiven auf Feministische Ökonomiekritik, unterschiedlichen Standpunkten zum Bedingungslosen Grundeinkommen sollten auch Frauendörfer und Umverteilung im eigenen Alltag Thema sein.
In kleinen Gruppen verteilten sich die vorgeschlagenen Themen über die gesamte Etage und jeder_m stand es frei, sich für wenige Minuten dazuzusetzen, sich mit eigenen Wortbeiträge einzubringen oder schlicht nur zuzuhören. Jede Person konnte über Art und Dauer ihrer Partizipation beim Open Space selbst entscheiden.
Utopien leben: Frauendörfer
Eine Teilnehmerin wollte mit anderen über die Möglichkeit und Umsetzbarkeit eines Frauendorfes nachdenken. Durch Landflucht vor allem - aber nicht nur - in den ostdeutschen Bundesländern sind viele Dörfer kaum mehr bewohnt. Die leerstehenden Häuser eignen sich daher wunderbar für die Verwirklichung eigener Utopien eines schöneren Lebens in der Gemeinschaft. Zusammen wurde frei von Zwängen überlegt, was sich jede vorstellen kann. Folgende Fragen waren den Teilnehmerinnen wichtig: Was verspricht sich jede von dieser Art des Zusammenlebens? Welche materiellen und immateriellen Güter kann sie ein- bzw. mitbringen? Welche Tätigkeiten sind Aufgabe der Gemeinschaft, was hat jede selbst zu leisten?
Den Teilnehmerinnen war es ein Anliegen, dass sich eine neue Gemeinschaft, die in ein halb verlassenes Dorf ziehen möchte, die bereits vorhandenen Strukturen würdigt und versucht, sich in diese zu Integrieren. Integrationsarbeit könnte die neu hinzugezogene Gemeinschaft zum Beispiel dadurch leisten, indem sie Sorgearbeit für Ältere übernimmt oder Waren vor Ort kauft, um die lokale Wirtschaft zu unterstützen. Auch die Eröffnung eines eigenen Ladens wurde in Betracht gezogen. Weiterhin könnte die neue Gemeinschaft das Dorf- bzw. kommunale Leben bereichern, indem sie sich lokalpolitisch betätigt und neue Impulse für die gesamte Dorfgemeinschaft oder die Kommune setzt. Auch Ökologische Aspekte waren den Teilnehmerinnen ein Anliegen: so gering wie möglich sollte die Natur durch den Zuzug neuer Bewohnerinnen in Anspruch genommen werden. Über alternative Bauweisen wurde nachgedacht, nicht jede ließe sich allerdings mit deutschem Baurecht vereinbaren.
Das Frauendorf soll nach Möglichkeit kein zeitlich begrenztes Projekt bleiben, sondern an nachfolgende Generationen weitergegeben werden oder durch Fluktuation von Bewohnerinnen aufrecht erhalten werden. Dabei ging es auch um die Frage persönlicher Konflikte: Wie kann eine Kultur geschaffen werden, in der sich jede jederzeit willkommen und wertgeschätzt fühlt, wie können Widersprüche ausgehalten werden, die sich nicht lösen lassen, ohne dass das Projekt „Frauendorf“ gefährdet ist? Eine Teilnehmerin brachte es auf den Punkt: eine solle sich nicht abschrecken lassen von Utopien. Jedes noch so ferne Ziel sei mit Willenskraft in einer bestimmten Form erreichbar. Über Utopien nachzudenken, heiße nicht, lediglich Gedankenspielerei zu betreiben, sondern ein besseres Leben für möglich zu halten und danach zu streben.
Utopien finanzieren: Gemeinschaftskonten
In der Gruppe, die über Umverteilungsmöglichkeiten im eigenen Alltag nachdachte, ging es ähnlich kreativ zu. Einen Einstieg ins Thema bildete das Gemeinschaftskonto der Prolo-Lesben Anfang der 1990er Jahre. Jede konnte dort anonym einzahlen und abheben, ohne rechtfertigen zu müssen, wofür sie das Geld brauchte. Einzige Bedingung war, dass ein bestimmter Grundstock auf dem Konto verbleiben musste, frau konnte ja nie wissen. Jede zahlte eigenverantwortlich und nach ihren finanziellen Möglichkeiten auf das Konto ein. So funktionierte das Gemeinschaftskonto mindestens zwei Jahre bis es aufgelöst wurde, weil sie sich die Gruppe auflöste.
Ähnliche Ideen gibt es heute auch noch: Gemeinschaftskontos in größeren Wohngemeinschaften, von denen Miete, Lebensmittel und materielle Dinge für den Haushalt bezahlt werden und die Höhe der Einzahlungen abhängig ist von der finanziellen Situation jeder Person. Denkbar sind auch Gemeinschaftskonten, die nicht an eine Wohngemeinschaft gebunden sein müssen und die dazu dienen sollen, autonome politische Projekte in regelmäßigen Abständen zu bespenden. Weiter wurde über die Möglichkeit nachgedacht, gemeinsame Erbschaftskonten einzurichten, um an Umverteilungsprozessen im Kleinen mitzuwirken.
Auch die Idee des Frauendorfes ließe sich mit einem Finanzierungsplan realisieren, der die unterschiedlichen ökonomischen Situationen und Positioniertheiten von Frauen mitdenkt: Unabhängig der finanziellen Situation jeder Frau kann diese Teil des Projektes werden. Die gerechte Ausbalancierung von Ressourcen und Bedürfnissen stehen im Vordergrund. Feministische Ökonomie für ein besseres Leben!
Geschrieben von Nadine Lantzsch
in Feminismus
um
19:26
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Tags für diesen Artikel: Feminismus
Was kann feministische Ökonomie leisten?
Bericht von der Tagung „Schneewittchen rechnet ab. Feministische Ökonomie
für anderes Leben, Arbeiten und Produzieren“ von Franca M'hamdi
Auf der Podiumsdiskussion im Nachmittagsblock „Alternativen & Utopien“ stellten die Soziologin Dr. Christa Wichterich, die Volkswirtin Dr. Friederike Habermann und die Politologin Christine Rudolf ihre unterschiedlichen Auffassungen von feministischer Ökonomie als Konzept und Strategie zur Diskussion.
Für Christa Wichterich ist feministische Ökonomie ein Ansatz, der das Ganze der Ökonomie in den Blick nimmt. Sowohl die Produktivität der Natur als auch die Sorgearbeit sollen als Produktionsfaktoren anerkannt werden. Da soziales Geschlecht durch Ökonomie produziert
und diese wiederum von Geschlechterverhältnissen geprägt ist, sollen Ungleichheitsmomente als Prozess in der Ökonomie erkannt werden. Das Ziel ist, sowohl die einzelnen Atkeur_innen wie auch übergreifende Machtstrukturen im globalen Kontext sichtbar zu machen. Hierbei steht die Logik von Versorgung und sozialer Reproduktion im Vordergrund, anhand derer Kritik an der kapitalistischen Verwertungslogik geübt wird. Wichterich betont, dass die feministische Ökonomie kein abstraktes Analyseinstrument ist. Sie sei eine Strategie, mit der Konflikte in als nicht
system-relevant gewerteten Bereichen aufgefangen und mit der Möglichkeiten zur Veränderung der Mainstream-Ökonomie aufgezeigt werden können. Als Beispiel hierfür nennt sie die Unterstützung und Sichtbarmachung der Arbeitskämpfe von Hebammen und Kita-Angestellten. Als wissenschaftliches Konzept sei feministische Ökonomie in so fern wichtig, als sie der neo-klassischen Ökonomie, also dem hegemonialen Konzept an Universitäten, eine wissenschaftliche Alternative entgegensetzt.
Für Friederike Habermann ist feministische Ökonomie ebenfalls ein anti-hegemonialer Ansatz, der Schwerpunkt liegt für sie auf der
Sichtbarmachung von Inklusions- und Exklusionsmechanismen. Das primäre Ziel ist die Erlangung von Herrschaftsfreiheit, wobei der globale Kontext mit gedacht werden muss. Konkret verhandelt sie dies am Beispiel von Frauen* im globalen Norden, deren Karrieren teilweise dadurch ermöglicht werden, dass migrantisierte Frauen* ihre Sorgearbeit übernehmen. Sie fragt, wo denn global gesehen der Mehrgewinn sei, wenn diese dafür ihre eigenen Kinder im Heimatland lassen müssen. Für Habermann steht fest, dass die kontemporäre Realpolitik so viele Folgekatastrophen nach zieht, dass die Mainstream-Ökonomie als gescheitert bezeichnet werden muss. Die Lösung sieht sie in alternativen Ansätzen, die sich im Alltag entfalten müssen. Die feministische Ökonomie soll Lebensweisen aufzeigen, die alternative Identifikationspunkte schaffen. Diese sind mangels Vorgesehenheit im liberalen Karrieremodell, dass den weißen Mittelstandsmann als Idealtypus setzt, in der Regel weder benennbar noch greifbar.
In Abgrenzung zu Wichterich und Habermann stellt Christine Rudolf die Eignung von feministischer Ökonomie als Ansatz und Strategie in Frage. Da diese die Mainstream-Ökonomie als Ausgangspunkt nimmt,unterwirft sie sich auch den Marktmechanismen dieses Modells. Rudolf plädiert für einen weniger wissenschaftlichen Ansatz, der von den in der Praxis Betroffenen ausgeht. Diesen sollte es freigestellt sein, ob und wie sie in den als Krise definiertem Jetzt-Zustand des bestehenden Systems hineingehen wollen. Konkret schlägt sie vor, ein Instrument wie Gender Budgeting (öffentliche Gelder, die geschlechtergerecht verteilt werden sollen) den Bedürfnissen entsprechend zu verteilen. Sie setzt auf Strategien wie Betroffenenbefragungen, um vorgegebene Einteilungen wie Privatheit und Parteipolitik zu überwinden. Daran verhandelt sie auch die Begrenztheit von alternativen Modellen im Alltag. Gerade beim Instrumentarium Gender Budgeting sei Berlin das einzige Bundesland, in dem Bürgerinitiativen überhaupt involviert seien.
Im Anschluss an die Diskussion blieb Platz für Fragen. Einer Teilnehmerin war der Begriff Gender Budgeting nicht klar geworden. Dieser wurde am Beispiel des Betreuungsgeldes als Konzept erläutert, dass die konkreten Auswirkungen auf soziale Rollen in die Verteilungspraxis von Geldern mit einbezieht. So hat zum Beispiel die Einführung des Betreuungsgeldes den Effekt, dass in Zukunft mehr Frauen* zur Betreuung ihrer Kinder zu hause bleiben. Die von einer Teilnehmerin geäußerte Ambivalenz in Sachen Solidarisierung mit Projekten und/oder Gruppen wurde mit dem Hinweis auf die genaue Reflektion dessen beantwortet, mit wem, zu welchem Zweck und mit welchem Ziel für was gekämpft werden soll. Wie schon beim Vortrag „Gutes Leben jenseits des Wachstums – Entwürfe und Kritik feministischer Ökonomik“ am Vormittag blieb auch bei der Podiumsdiskussion „Was kann feministische Ökonomie leisten?“ verhältnismäßig wenig Raum für Publikumsfragen. Insgesamt konnten nur diese beiden verhandelt werden, was von den Teilnehmenden bedauert wurde.
Am wichtigsten fand ich persönlich die konzeptionelle Kritik, die feministische Ökonomie als ausreichende Strategie zum Erreichen von Herrschaftsfreiheit in Frage stellt. Für mich war auffällig, dass im Verlauf der Tagung das Wirtschaftssystem, zu dem Alternativen aufgezeigt werden sollen, an keiner Stelle als westlich zentriertes markiert war. So entstand der Eindruck einer universellen Gültigkeit, wobei außer Acht gelassen wird, dass zum Beispiel die kritisierte Trennung von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit durchaus nicht in allen Teilen der Welt besteht. Für mich als Beobachtende stellte sich im Anschluss daran die Frage, wie strategisch erreicht werden kann, eine Tagung wie „Schneewitchen rechnet ab“ sowohl im Hinblick auf die eigene Positioniertheit als auch auf die Teilnehmenden inklusiver zu gestalten. Bei der Betonung vom feministischer Ökonomie als Strategie, die "Inklusions- und Exklusionsmechanismen aufzeigen und Kritik an der Fokussierung des Karrieremodells auf den weißen Mittelstandmann üben will" (Habermann), war es doch auffällig, dass außer zwei Dokumentierenden und einer Workshop-Veranstaltenden keine Frauen* of Color im Publikum oder unter den Expert_innen zu finden waren. Dieser Punkt wurde in der folgenden Veranstaltung im Open Space nochmals aufgegriffen, um in selbst organisierter Gruppenarbeit nach Lösungsansätzen dafür zu suchen.
für anderes Leben, Arbeiten und Produzieren“ von Franca M'hamdi
Auf der Podiumsdiskussion im Nachmittagsblock „Alternativen & Utopien“ stellten die Soziologin Dr. Christa Wichterich, die Volkswirtin Dr. Friederike Habermann und die Politologin Christine Rudolf ihre unterschiedlichen Auffassungen von feministischer Ökonomie als Konzept und Strategie zur Diskussion.
Für Christa Wichterich ist feministische Ökonomie ein Ansatz, der das Ganze der Ökonomie in den Blick nimmt. Sowohl die Produktivität der Natur als auch die Sorgearbeit sollen als Produktionsfaktoren anerkannt werden. Da soziales Geschlecht durch Ökonomie produziert
und diese wiederum von Geschlechterverhältnissen geprägt ist, sollen Ungleichheitsmomente als Prozess in der Ökonomie erkannt werden. Das Ziel ist, sowohl die einzelnen Atkeur_innen wie auch übergreifende Machtstrukturen im globalen Kontext sichtbar zu machen. Hierbei steht die Logik von Versorgung und sozialer Reproduktion im Vordergrund, anhand derer Kritik an der kapitalistischen Verwertungslogik geübt wird. Wichterich betont, dass die feministische Ökonomie kein abstraktes Analyseinstrument ist. Sie sei eine Strategie, mit der Konflikte in als nicht
system-relevant gewerteten Bereichen aufgefangen und mit der Möglichkeiten zur Veränderung der Mainstream-Ökonomie aufgezeigt werden können. Als Beispiel hierfür nennt sie die Unterstützung und Sichtbarmachung der Arbeitskämpfe von Hebammen und Kita-Angestellten. Als wissenschaftliches Konzept sei feministische Ökonomie in so fern wichtig, als sie der neo-klassischen Ökonomie, also dem hegemonialen Konzept an Universitäten, eine wissenschaftliche Alternative entgegensetzt.
Für Friederike Habermann ist feministische Ökonomie ebenfalls ein anti-hegemonialer Ansatz, der Schwerpunkt liegt für sie auf der
Sichtbarmachung von Inklusions- und Exklusionsmechanismen. Das primäre Ziel ist die Erlangung von Herrschaftsfreiheit, wobei der globale Kontext mit gedacht werden muss. Konkret verhandelt sie dies am Beispiel von Frauen* im globalen Norden, deren Karrieren teilweise dadurch ermöglicht werden, dass migrantisierte Frauen* ihre Sorgearbeit übernehmen. Sie fragt, wo denn global gesehen der Mehrgewinn sei, wenn diese dafür ihre eigenen Kinder im Heimatland lassen müssen. Für Habermann steht fest, dass die kontemporäre Realpolitik so viele Folgekatastrophen nach zieht, dass die Mainstream-Ökonomie als gescheitert bezeichnet werden muss. Die Lösung sieht sie in alternativen Ansätzen, die sich im Alltag entfalten müssen. Die feministische Ökonomie soll Lebensweisen aufzeigen, die alternative Identifikationspunkte schaffen. Diese sind mangels Vorgesehenheit im liberalen Karrieremodell, dass den weißen Mittelstandsmann als Idealtypus setzt, in der Regel weder benennbar noch greifbar.
In Abgrenzung zu Wichterich und Habermann stellt Christine Rudolf die Eignung von feministischer Ökonomie als Ansatz und Strategie in Frage. Da diese die Mainstream-Ökonomie als Ausgangspunkt nimmt,unterwirft sie sich auch den Marktmechanismen dieses Modells. Rudolf plädiert für einen weniger wissenschaftlichen Ansatz, der von den in der Praxis Betroffenen ausgeht. Diesen sollte es freigestellt sein, ob und wie sie in den als Krise definiertem Jetzt-Zustand des bestehenden Systems hineingehen wollen. Konkret schlägt sie vor, ein Instrument wie Gender Budgeting (öffentliche Gelder, die geschlechtergerecht verteilt werden sollen) den Bedürfnissen entsprechend zu verteilen. Sie setzt auf Strategien wie Betroffenenbefragungen, um vorgegebene Einteilungen wie Privatheit und Parteipolitik zu überwinden. Daran verhandelt sie auch die Begrenztheit von alternativen Modellen im Alltag. Gerade beim Instrumentarium Gender Budgeting sei Berlin das einzige Bundesland, in dem Bürgerinitiativen überhaupt involviert seien.
Im Anschluss an die Diskussion blieb Platz für Fragen. Einer Teilnehmerin war der Begriff Gender Budgeting nicht klar geworden. Dieser wurde am Beispiel des Betreuungsgeldes als Konzept erläutert, dass die konkreten Auswirkungen auf soziale Rollen in die Verteilungspraxis von Geldern mit einbezieht. So hat zum Beispiel die Einführung des Betreuungsgeldes den Effekt, dass in Zukunft mehr Frauen* zur Betreuung ihrer Kinder zu hause bleiben. Die von einer Teilnehmerin geäußerte Ambivalenz in Sachen Solidarisierung mit Projekten und/oder Gruppen wurde mit dem Hinweis auf die genaue Reflektion dessen beantwortet, mit wem, zu welchem Zweck und mit welchem Ziel für was gekämpft werden soll. Wie schon beim Vortrag „Gutes Leben jenseits des Wachstums – Entwürfe und Kritik feministischer Ökonomik“ am Vormittag blieb auch bei der Podiumsdiskussion „Was kann feministische Ökonomie leisten?“ verhältnismäßig wenig Raum für Publikumsfragen. Insgesamt konnten nur diese beiden verhandelt werden, was von den Teilnehmenden bedauert wurde.
Am wichtigsten fand ich persönlich die konzeptionelle Kritik, die feministische Ökonomie als ausreichende Strategie zum Erreichen von Herrschaftsfreiheit in Frage stellt. Für mich war auffällig, dass im Verlauf der Tagung das Wirtschaftssystem, zu dem Alternativen aufgezeigt werden sollen, an keiner Stelle als westlich zentriertes markiert war. So entstand der Eindruck einer universellen Gültigkeit, wobei außer Acht gelassen wird, dass zum Beispiel die kritisierte Trennung von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit durchaus nicht in allen Teilen der Welt besteht. Für mich als Beobachtende stellte sich im Anschluss daran die Frage, wie strategisch erreicht werden kann, eine Tagung wie „Schneewitchen rechnet ab“ sowohl im Hinblick auf die eigene Positioniertheit als auch auf die Teilnehmenden inklusiver zu gestalten. Bei der Betonung vom feministischer Ökonomie als Strategie, die "Inklusions- und Exklusionsmechanismen aufzeigen und Kritik an der Fokussierung des Karrieremodells auf den weißen Mittelstandmann üben will" (Habermann), war es doch auffällig, dass außer zwei Dokumentierenden und einer Workshop-Veranstaltenden keine Frauen* of Color im Publikum oder unter den Expert_innen zu finden waren. Dieser Punkt wurde in der folgenden Veranstaltung im Open Space nochmals aufgegriffen, um in selbst organisierter Gruppenarbeit nach Lösungsansätzen dafür zu suchen.
Geschrieben von Franca M'hamdi
in Feminismus
um
18:55
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