Berlin im Oktober 2009 – das
4.Pornfilmfestival lud interessierte Menschen zum Schauen von und Diskutieren über Porno ein.
Am Samstag den 24.10. hieß es unter dem Titel „Chicks with guts“ über den Einfluss von Frauen im Pornogeschäft zu diskutieren sowie sich über ihr feministisches und/oder queeres und damit irgendwie rebellisches Potential bzw. Engagement auszutauschen.
Rede und Antwort standen Anna Brownfield (Melbourne – Australien), die als feministische Erotikfilmerin angekündigt wurde; Shine Louise Housten (San Francisco – USA) lesbische Pornofilmerin; Ovidie (Paris – Frankreich) Regisseurin und Produzentin für das Label French Lover TV; Anna Peak (Berlin – Deutschland) queere Videokünstlerin; Renee Pornero (Wien – Österreich) Mainstream-Pornofilmemacherin (und früher auch aktive Darstellerin) und nicht zuletzt Julie Simone (Los Angeles – USA) BDSM und Fetisch-Filmemacherin.
Die Auswahl erschien viel versprechend, waren doch aus allen Bereichen „der Pornoindustrie“ Menschen vertreten. Von queer, über feministisch oder BDSM bis hin zum viel gescholtenen Mainstream.
Muss Porno sich auch sprachlich ändern?
Eine der wichtigsten Fragen, abseits von Produktionsbedingungen, die erschöpfend diskutiert wurden, war die Frage nach einer möglichen Umbenennung des Begriffs Porno. Diese Frage war auch deshalb interessant, weil sich alle dezidiert als Pornofilmemacherinnen bzw. Pornografinnen vorgestellt haben. So ist es nicht verwunderlich, dass fast einhellig gesagt wurde, dass eine „Umbenennung“ oder die Suche nach einem neuen Wort für Porno nicht zielführend ist. Dass das im allgemeinen der Fall ist, scheint verständlich – nicht ganz nachvollziehbar war, warum Bezeichnungen wie „feministischer Porno“ oder „queerer Porno“ so vehement abgelehnt wurden? Was verliert mensch mit solch einer Erweiterung, wenn die Inhalte und Stilistiken den Mainstream zu verschieben in der Lage sind? Meines Erachtens kann ein „queerer“ Porno nur diejenigen Kund_innen verlieren, die ein 80/20 Verhältnis (80% Sex, 20% „Handlung“ inkl. Anfang und Abspann) vorziehen, keine kritische Hinterfragung der Herrschaftsverhältnisse wünschen, die es mögen, wenn Frauen auf die immer gleiche Weise in oftmals erniedrigter Position dargestellt werden. Gewonnen werden kann mit jenem Labeling allerdings ein Kundenkreis, der den Mainstream entweder leid ist, oder der in Porn ein kritisches Potential sieht und nachhaltige sowie faire Produktionsbedingungen durchaus markiert wissen möchte. Queer als Bio-Siegel für fairen und dennoch spannenden Porno? Warum nicht, solange dies gewährleistet, was das Siegel verspricht.
Jürgen Brüning, einer der Festivalorganisatoren und Moderator ging soweit zu sagen, es gäbe keinen feministischen Porno und reproduziert damit jene Abwehr etwas dann mutig zu benennen, wenn sich herrschaftskritisches Potential in den Filmen verbirgt. Zumal am 17.Oktober in Berlin erstmalig ein feministischer Pornofilmpreis vergeben wurde, der explizit einen Kontrapunkt zur sexistischen Mainstream-Pornografie zu setzen bzw. nur Filme mit feministischer, (queerer) Sicht zu berücksichtigen versucht und eine derjenigen ehrte, die dem Panel beiwohnte - Shine Louise Housten.
Anna Peak meinte dazu: „Making Porn is dealing with boxes and stereotypes“, daraus folgt: „define your own boxes“ – wenn schon neue Schubläden, dann kann mensch diese doch auch benennen.
Um die Mechanismen des Mainstream Porno zu ändern muss mensch sie unterwandern und in sie „eindringen“
Wie nun aber umgehen mit dem Mainstream – ihn so lassen wie er ist, ein Milliardengeschäft ohne Skrupel. Wie können Menschen neue Blickgewohnheiten näher gebracht werden, wie kann auch Porno kritisch auf Sexualität und alles was daraus resultiert blicken? Wie neue Wege, Alternativen, „Realitäten“ aufzeigen?
Das Podium war sich uneinig über den Weg der bestritten werden kann oder sollte. Während z.B. Renee Pornero einerseits Mainstreampornos (80/20) dreht und sich in den Strukturen bewegt, empfand sie den Eröffnungsfilm „The Band“ von Anna Brownfield (20/80) als das Non-Plus-Ultra für einen guten Porno. Doch woran orientiert sich ein guter Porno? Sicherlich nicht nur daran, was anmacht, sondern auch welche Bilder von Geschlechterverhältnissen er in Szene setzt und wie er diese Bilder in Szene setzt. Ein funktionierender Plot und „wenige“ explizite Sexszenen können gleichermaßen erregen, wie der Film „Madrid 147“ von Sico Dice (im Kurzfilmprogramm „Experimental Porn“) auf so simple wie auch eindringliche Weise. Unabhängig davon, dass in diesem Film nur ein vermeintlich heterosexuelles Pärchen beim Sex zu hören war, ist auch dieser Film „queer“, insofern er Blickregime zu unterwandern in der Lage ist.
Filme für und mit einer queeren Community zu produzieren, wie Anna Peak es praktiziert, kann ebenso queer sein, kann ein nicht-kommerzielles Interesse der Protagonist*innen vorausgesetzt werden. Aber auch Shine Louise Housten´s Traum, ein eigenes Imperium für queeren Porno aufzubauen, thematisiert die wichtige Komponente, den Mainstream-Markt mit eigenen Mitteln zu zerschlagen.
Fuck about the Mainstream – was bleibt
Ein kritischer Blick, Kreativität und Durchhaltevermögen benötigen all jene, die dem Mainstream den Rücken kehren.
Und wenn wir wollen, dass das so bleibt, dass queere, feministische, alternative „Pornos“ auf dem Markt verfügbar sind, dann sollten wir diese kleinen, vielleicht ersten zaghaften Versuche unterstützen und würdigen. Porno kann durchaus „anders“ sein, auch wenn es Anstrengungen derer bedeutet, die die Filme produzieren und derer, die ihre Sehgewohnheiten umstellen müssen.
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Porno bot eine Diskussion während des Gender Happenings.